Dienstag, 28. Dezember 2010

Castle Salem

„Warten sie hier, ich hole die Taschenlampe“. Alleine in einer Art Zwischengeschoss stehend, sehe ich mich das erste Mal genauer um. Über der alten Holztreppe liegt ein stark gemusterter dicker Rollteppich, ein paar wenige Stufen trennen mich vom oberen Stockwerk, wo mir Margaret vor ein paar Minuten mein Zimmer gezeigt hat. „Sie brauchen keinen Schlüssel“ erklärt sie mir auf meinen fragenden Blick hin, „sie sind unser einziger Gast heute“. Neben dem Fenster im Treppenhaus steht auf einer kleinen weißgestrichenen Kommode eine Madonna auf einem kleinen Häkeldeckchen.
„Sehn sie, diese jahrhundertealte Eichentüre führt uns direkt in die Burg“! Diese zarte Frau, kaum größer als 150 cm, weist auf den Eingang hinter mir und dreht einen Schlüssel der Art, wie man sie von Museumsbesuchen kennt im riesigen Schloss um. Bis dahin etwas belustigt über Margarets Angebot, mir doch gleich die alten Burgmauern zu zeigen, bin ich jetzt doch ein wenig neugierig geworden.

Ich hatte eine Nacht in diesem Bed and Breakfast gebucht, weil ich auf meinen Reisen gerne in Kontakt mit den Menschen auf der Suche nach dem authentischen Leben bin und abseits der Touristenpfade meist kleine Überraschungen auf mich warten. Nun, Castle Salem liegt mehr als abgelegen, obwohl es nicht weit von der Hauptdurchzugsstraße entfernt ist.

Durch eine kleine Allee und an einer in Form geschnittenen Hecke entlang steuerte ich direkt auf das Haus zu. Ein kleiner braun-weiß gefleckter Rover empfing mich, indem er mein Auto und mich nicht aus den Augen ließ.



Ich muss nun über eine breite Schwelle treten und vor mir tut sich eine enge und stark gewundene Wendeltreppe auf. Margaret bietet mir die Taschenlampe an und ermuntert mich, hinaufzugehen.



Von einem kleinen hölzernen Podest aus ungehobelten Kanthölzern kann ich in einen riesigen Raum zwei Stockwerke hoch sehen. Die Decke zum zweiten Stock ist schon renoviert. Die schlimmsten Schäden betrafen allerdings das Dach, als die Familie Daly beschloss etwas zu unternehmen, um die Bausubstanz zu retten.

Castle Salem war 1470 von Catherine, der Tochter des Earl of Desmond in Auftrag gegeben worden. Ein einfacher zweistöckiger Wohnturm, wie man ihn aus England kennt. Heute zählt dieses Gebäude zu den besterhaltenen dieser Art aus dem 15. Jahrhundert in Irland. Es ist eine der wenigen Burgen, die nicht von den Cromwellianern zerstört worden waren.



Wer kennt nicht die unzähligen Schloss- und Burgruinen in Irland, auch diese Burg hätte beinahe dasselbe Schicksal ereilt. Vor etwa 300 Jahren wurde ein einstöckiges Farmerhaus direkt an die Burgmauern angebaut, seit hundert Jahren ist dieses Anwesen im Besitz der Familie Daly.

Die kleine Lady, irgendwie erinnert sie mich in ihrer Körperhaltung und mit ihren wachen Augen an die englische Queen, erzählt mir die Geschichte ihrer Familie und die des ganzen Anwesens mit einer Begeisterung, als wäre ich die erste und einzige, der zu erzählen sie endlich die Gelegenheit hat. Sie zeigt mir das Dach, das sie mit ihrer Familie wieder instandgesetzt hat. Nach und nach wird mir klar, warum der Preis für das Zimmer so günstig ist. Margarets Strategie, dem Besucher das Gefühl zu geben, an etwas ganz außergewöhnlichen und seltenen teilhaben zu dürfen, lässt mich in Erwägung ziehen, etwas für dieses engagierte Projekt zu spenden, wie so viele andere vor mir auch. Sie würde mir in der Lounge das Goldene Buch von Castle Salem zeigen, wo alle Freunde und Unterstützer ihres Lebenswerkes verewigt sind. Ich könne mir nicht vorstellen, aus wie vielen Teilen der ganzen Welt schon Gäste für den Erhalt dieser alten Steine ein paar Scheine dagelassen hätten. Steine, die tausend Worte zu uns sprechen und nicht für immer verstummen sollten.



„Was sind schon zwanzig Euro mehr für die Übernachtung“ denke ich, dafür dass ich im Goldenen Buch verewigt werde und Margaret immer mit einem warmen Gefühl an mich denkt, wenn sie meinen Namen unter all den anderen liest!
„Jetzt haben sie sich ein paar Scones und eine Tasse heißen Tee verdient, sie mögen doch Tee?“ sagt Margaret, als sie die schwere Eichentüre wieder schließt.
Ich freue mich auf eine kleine Plauderstunde mit dieser quirligen kleinen Dame im fortgeschrittenen Pensionsalter und ich werde nicht enttäuscht. Was sie mir noch zu erzählen hat ist allerdings eine weitere und gänzlich andere Geschichte.
Neugierig geworden?  I´ll give you a hint: What about this strange name: Castle Salem?
Diese Geschichte führte uns ins ferne Amerika und viel zu weit weg von den alten Steinen und der engagierten Margaret mit den wach blitzenden Augen.


Mittwoch, 14. April 2010

Das Reservat der Mashantucket Pequot Indianer in Connecticut

Das Unglaubliche wird uns an diesem Frühlingsnachmittag erst nach und nach bewusst.Ein Ausspruch von Mark Twain fällt mir dazu ein: "Das Reisen ist für Vorurteile tödlich". Hier im Mashantucket Reservat der Pequot Indianer müssen wir Vieles revidieren, was wir an Vorstellungen über das heutige Leben amerikanischer "Ureinwohner" gehabt hatten.
Michael Thomas, ein Mitglied des Stammes der Pequot, meinte in einem Interview etwas sarkastisch, dass wohl die Mehrheit der amerikanischen Bürger erwarten würde, seinesgleichen in Wigwams mit Lederbekleidung vorzufinden. Aber genauso, wie die westliche Welt sich verändert hat, haben auch sie ihre Lebensweise weiterentwickelt.
Wir waren bei unseren Reisevorbereitungen für Neuengland auf das Museum der Pequots gestoßen und neugierig darauf geworden.

Nun stehen wir auf dem Turm im Eingangsbereich, von wo man durch die großen Panoramascheiben einen sehr guten Überblick auf das Reservat hat. 5,6km² Land, Du hast richtig gelesen, wurde dem Stamm zurück erstattet. Zum Vergleich: die Stadt Mödling ist doppelt so groß.
Betrachten wir die Vorkommnisse seit dem Kommen der Engländer und Holländer, die Mayflower war etwas weiter nördlich von hier gelandet, so stoßen wir auf hinlänglich Bekanntes: Wie auch anderswo in den USA gab es hier viel Traumatisches für die ansässige Bevölkerung zu erleiden.
Zunächst florierte der Handel mit den Siedlern, doch nach und nach herrschten Krieg, von den Weißen eingeschleppte Krankheiten mit verheerenden Auswirkungen, Flucht, Sklaverei durch hunderte von Jahren. Durch den Tod der Stammesältesten und vieler anderer Männer blieben oft nur die Frauen zurück. Ihr Landbesitz, früher ein großes Gebiet am Connecticut River, war inzwischen stark verkleinert.
Zu Ende des 19. Jahrhunderts lebten nur mehr ein paar Dutzend Stammeszugehörige äußerst ärmlich vom Verkauf  wilder Beeren und etwas Landwirtschaft.
Es gleicht einem Wunder und zeugt von der visionären Kraft, dem Einsatz und der Willensstärke Einzelner, dass der Stamm der Mashantucket Pequots nicht in alle Winde zerstreut und für immer verloren ging.
Zwei Halbschwestern, Ann und Elizabeth George und deren Nachfahren arbeiteten in der Mitte des 20. Jahrhunderts daran, ihr Land wiederzugewinnen und Mitglieder ihres Stammes, die in alle Winde zerstreut gewesen waren wiederzufinden. Sie zu bewegen, zurück zu kommen, war tatsächlich kein leichtes Unterfangen. Wovon sollte man seinen Lebensunterhalt bestreiten, das bisschen Land gab ja nichts her.
Nach einigem Hin und her entschloss sich die Stammesführung, ein Kasino zu bauen. An sich nichts Ungewöhnliches für indianische Reservate.
Im Unterschied zu manch anderen Beispielen im mittleren Westen entwickelte sich das Foxwood Resort in Mashantucket, im Südosten Connecticuts, etwa 2 Autostunden nördlich von New York zu einer unglaublichen Erfolgsgeschichte und verhalf den Pequots zu großem Reichtum.

Der Kasinokomplex, 1992 eröffnet, umfasst drei Hotels mit 3000 Zimmern, ein Theater mit 2800 Sitzen, in dem erst kürzlich etwa Mark Knopfler oder Norah Jones aufgetreten sind, mehrere Restaurants, Geschäfte und Spas. Im Kasino unterhalten sich an einem einzigen Tag bis zu 45 Tausend Menschen an 60 Spieltischen und 1400 Spielautomaten.
Mit den Einnahmen aus dem Kasinogeschäft konnte das Pequot Museum und Forschungszentrum gebaut und 1998 eröffnet werden.  Dass die zur Verfügung stehenden Mittel so konstruktiv eingesetzt werden hat vielleicht auch mit der Organisation des Stammes zu tun. Inzwischen auf mehr als 300 Einwohner gewachsen, sind alle über 55jährigen Stammesmitglieder, mit ihnen alle Familien in einem Ältestenrat vertreten. Der Vorsitzende wird für drei Jahre gewählt.
In den wenigen Stunden unseres Besuches im Museum bekommen wir einen Eindruck von der Kraft dieser Gemeinschaft der Pequot Indianer. Man spürt ihren Stolz und ihre Freude, wieder mit ihren Wurzeln verbunden zu sein, in jedem der drei Stockwerke. Mit modernsten Mitteln gestaltet, werden offensichtlich junge und alte Besucher angesprochen. Es herrscht reges Treiben. Viele Schulklassen und Besucher aus allen Teilen des Landes kommen hierher. Besonderen Eindruck hinterlassen die Menschenpuppen aus Fiberglas. Szenen aus allen Bereichen des täglichen Lebens in den Dörfern des Stammes sind lebensecht dargestellt.

Ein Raum ist natürlich auch den Schöpfungsmythen und dem Spirituellen gewidmet. Viele wunderschöne Bilder berühren unsere Herzen. Leider musste ich hier alle Fotos, die ich unerlaubt gemacht hatte, unter dem strengen Blick des Aufsehers löschen.

Tief beeindruckt verlassen wir das Reservat in Mashantucket nahe  New London in Connecticut und legen Dir, geschätzte/r LeserIn ans Herz, einen Besuch einzuplanen, solltest Du einmal in der Nähe sein.
Leider durften wir im Museum nicht fotografieren, deswegen möchte ich auf die sehr informative Homepage verweisen.
http://www.pequotmuseum.org

Im folgenden Link ist ein Interview mit einem Stammesmitglied zu sehen:

Mittwoch, 7. April 2010

Der Harem im Serail von Istanbul

Natürlich besichtigt man als Mitteleuropäerin einen Harem mit einer bestimmten Vorstellung, die eng mit dem eigenen Frauenbild und der Stellung der Frau in der modernen Gesellschaft zusammenhängt.
Wir haben nur einige wenige Stunden Zeit für Istanbul, in diesem Jahr Kulturhauptstadt und klar ist, wir wollen in dieser  faszinierenden Metropole etwas ganz Besonderes sehen.
Unsere erste Wahl fällt auf das Topkapi Serail, durch viele Jahrhunderte der Palast für die Sultane und deren Hofstaat. So beginnen wir mit einer Lebensart in vergangenen Zeiten, für das heutige, lebendige und vielschichtige Istanbul müssen wir ein anderes Mal wiederkehren.
Schon vom Schiff her ein beeindruckender Anblick, eine weitläufige Anlage auf einer hügeligen Landzunge vor dem Goldenen Horn, prominente Lage für die Herrscher eines im Mittelalter großen Reiches.

 
Als eine der ersten Besucher morgens betreten wir an diesem sehr nebeligen und kalten Frühlingstag den Frauentrakt des Palastes.
Nun, egal welche Vorstellungen vorher da waren, ich kann versichern, sie werden hier gründlich revidiert werden.


Mehr als 300 Räume, viele kleinere und größere Innenhöfe, lange Gänge, Badeanstalten und größere Gesellschaftsräume ließen eine ganz eigene, kleine Stadt innerhalb der Palastmauern entstehen.
Es ist dunkel drinnen und es hallt bei jedem Schritt. Wir gehen auf Marmor. Alle Wände, ob innen oder außen sind mit prächtig ornamentierten Fayencefliesen verkleidet. Wunderschöne Motive, streng stilisierte Blüten von Nelken, Tulpen oder Rosen, Ranken und Zypressen, alles sehr gut erhalten. Wenn man weiß, wie aufwendig und heikel die Herstellung solcher Keramiken war, beispielsweise Farbtöne bei den einzelnen Bränden sehr ähnlich zu bekommen, ist man noch mehr beeindruckt.

Die leuchtende Schönheit der Farben, die großartige Entfaltung der Ornamentik und die meisterhafte technische Ausführung machen diese Keramiken zu einzigartigen Schöpfungen des Orients, die seit vielen Jahrhunderten ihre Pracht behalten haben.


Um die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben: Unsere Fantasie ist gefragt, um sich das Leben hier ein wenig vorstellen zu können, denn die Räume sind leer, abgesehen von einem der Gesellschafträume. Hier kann man Sitzgelegenheiten in einem ziemlich schlechten Zustand sehen, aber immerhin, es wirkt alles, wie wir sagen würden, orientalisch.

Hat es mit dem Umstand, dass jegliches Mobiliar fehlt, zu tun oder ist es etwas anderes, dass sich das Gefühl nicht einstellen mag, dass innerhalb dieser düsteren Mauern ein angenehmes Leben, Ausschweifungen, Pomp und aller erdenklicher Luxus geherrscht haben.
Die Energie kommt eher sachlich, streng und geregelt herüber.
Einer der mit Marmorplatten ausgelegten Höfe öffnet sich zu einem Platz, der den Blick zum Goldenen Horn und der Galatabrücke freigibt. Wir atmen fast auf, plötzlich wird es uns noch mehr bewusst, dass dieser ganze Bereich wie ein Gefängnis wirkt oder sagen wir eher, wie ein einst goldener Käfig.


Die weitläufige Anlage des Topkapi Serails umfasst vier Höfe, einen großen Park und viele prächtige Gebäude. Heute sind hier unter anderem eine Schatzkammer mit Edelsteinen beeindruckender Größe, eine Miniaturensammlung und vieles mehr untergebracht. Es gibt Gegenstände zu bestaunen, die man durchaus mit dem Reichtum des Orients in Verbindung bringt.


Wieder Zuhause möchte ich etwas mehr über den Harem erfahren und werde in einer Publikation der Uni Hannover fündig.
Einige europäische Beobachter sind zu der Auffassung gekommen, dass der Harem (übersetzt: tabu, heilig) mit seiner disziplinierten und hierarchischen Organisation viel eher einem Kloster glich als einem Liebesnest, das eigentlich nur in den Projektionen und Wunschträumen der Europäer existierte.
Da die Geschichtsschreibung über das Leben der Frauen schwieg, enthalten die Hofchroniken kaum Auskünfte über den Alltag der Haremsbewohnerinnen. Der Harem blieb als Wohnort für zeitweise an die 800 Frauen, Erziehungsanstalt und sozialer Raum geheimnisvoll und unerforschlich.


Sicher ist, dass eine intime Beziehung des Sultan mit nur einer Frau als illegitim galt. Die Fortdauer der Dynastie schien ungesichert, wenn angesichts einer hohen Sterblichkeitsrate durch Krankheiten und Dauerkriege das Fortbestehen der Familie von der Gebärfähigkeit einer einzigen Frau abhängig gewesen wäre.


So deutlich wie unromantisch. Wenn wir versuchen uns auf die Lebensweise in der osmanischen Oberschicht des 17. Jahrhunderts  einzufühlen, gelangen wir bald zu der Feststellung, wie verschieden doch Menschen in Gemeinschaften ihr Leben gestalten und wie schade es ist, dass so viel vom Wissen über das tägliche Leben im Harem des Topkapi Serails verlorengegangen ist.

Zurückkommend ins Jahr 2010 macht Istanbul neugierig darauf, mehr über das Miteinander verschiedener Lebenseinstellungen in einer der größten Städte Europas zu erfahren. 

http://www.dta-uni-hannover.de/publik/haremsfrauen.htm 

Sonntag, 4. April 2010

Ein Statement zu Irland


 Alle, die ihr mich kennt, wundert Euch sicher, dass hier noch keine Geschichte über Irland gepostet ist.
Das verhält sich ein wenig so, wie wenn man vor einem riesigen Berg Arbeit steht und im Moment nicht weiss, wo man beginnen sollte. Aufschieben für später ist auch eine möglich Strategie, um mit diesem Umstand fertigzuwerden, oder vielleicht doch nicht?
Nun, so ähnlich geht es mir mit Geschichten aus Irland.
Soll ich mit den Schafen beginnen, oder mit den Hochmooren, mit den weitläufigen Sandstränden und dem herrlichen Meer, mit den kurvenreichen Bergstrassen und den unglaublichen Ausblicken, dem Mikrokosmos Pub oder den Familien, die mich beherbergt und mit warmherziger Gastfreundschaft für sich eingenommen haben. Das sind längst nicht alle Themen, die mir auf Anhieb einfallen, es gäbe da noch die einzigartigen Gärten und Herrenhäuser und, und, und...

Aber ich möchte Euch beruhigen, diese Geschichten werden nicht ausbleiben.

An dieser Stelle sei ein Geheimnis verraten:
Das Foto unter dem Blogtitel ist an einem der schönsten Sandstrände in Irland, dem Inch Beach, auf der Dingle Peninsula entstanden. Ein wahrhaft magischer Ort!


Die Möwe auf dem Foto im Seitenteil /unterwegs sein/ habe ich auf Skellig Michael aufgenommen. Sie sass regungslos auf dem Dach einer Bienenkorbhütte, wir hatten eine interessante Kommunikation! Aber das wird eine ganz eigene Geschichte...


Auch die kleine Meerjungfrau sitzt in einem Wasserbecken eines beeindruckenden Parks in der Nähe von Mullingar, westlich von Dublin. Sie ist hier stellvertretend für ihre Schwestern auf der ganzen Welt abgebildet.

Eines Tages wird es klar sein, welche irische Geschichte beginnen darf, ich hoffe nur, dass damit nicht ein Damm bricht und auch noch andere Reiseziele zu Wort kommen werden. Lassen wir uns überraschen. Um das Warten zu verkürzen schon Mal einige Fotos von Inch Beach, die 2009 im Juni entstanden sind.


Früh übt sich, wer mit jeder Temperatur und jedem Wetter gut zurecht kommt!
Lufttemperatur etwa 16°, Wassertemperatur bestenfalls 13°.
Das Mädchen hat trotzdem Spass, wie die Fotos eindrücklich beweisen!


Übrigens, in knappen 3 Wochen werde ich wieder irgendwo in meinem geliebtesten Reiseland unterwegs sein...


 

Freitag, 2. April 2010

Die Villa Amista bei Verona

Das ganze Haus hängt voller Spiegel.
Mitten in den Hügeln von Valpolicella mit Blick auf die Weingärten finden wir uns in einer dieser traditionellen barocken Villen im venezianischen Stil, in der Villa Amista ein. Der riesige Kronleuchter im Empfangsraum zieht unsere Blicke auf sich. Eine seltsame Mischung aus dem Prunk der alten Zeiten,  neuinterpretiert in modernem Design  lässt staunen  und  trifft auf eine nicht leicht festzumachende Schwermut im ehemaligen großen Ballsaal. Eben noch vermittelte der Springbrunnen vor dem Treppenaufgang in diesen zeitigen Frühlingstagen eine Vorfreude auf die Leichtigkeit des Sommers, da taucht schon die Frage nach den vielen Geschichten dieses Anwesens auf.

Ich blicke in einen der großen geschwungenen venezianischen Spiegel.



 
Sie sitzt davor, bürstet sich die dichten roten Locken, während sie auf die Schneiderin wartet, um die Anprobe zu vollenden. Diesmal hatte der Comte einen smaragdgrünen Brokat vom Tuchhändler als Geschenk erhalten, perfekt zu ihren Ohrringen passend. Es ist ruhig im Haus, die Damen für den abendlichen Ball noch nicht eingetroffen, die Herren auf der Jagd.  Sie prüft ihr Haar, wenn auch sonst kleine Makel ihre Schönheit trüben, wie sie sich eingesteht, das Haar hat niemand so schön wie sie. Nein, sie würde es nie übers Herz bringen, mögen die Umstände auch noch so schlecht sein, diese Pracht dem Perückenmacher zu verkaufen.


Etwas irritiert wird sie sich dieser Gedanken bewußt, als sie plötzlich ungewohnte Geräusche aus der Richtung des Fensters wahrnimmt. Sie eilt aus dem Mansardenzimmer zur Brüstung der Balustrade und sieht, wie der Reitlehrer hastiger als sonst in die Halle eintritt und ungeduldig zur Comtessa vorgelassen werden will.


 

Luigi war so aufgeregt gewesen, als sie von Venedig aufgebrochen waren, zum ersten Mal in diesem Jahr durfte er diesmal mit zu Singvogeljagd.

"Uccelli, uccelli", rief er immer wieder in einem lockenden Tonfall. Die Comtessa gab ihm zu Verstehen, dass sie sehr stolz auf ihn sein würde, wenn er zum traditionellen Mahl, einem Dutzend Drosseln,  mit Salbei und Speck auf einem Spieß gegrillt auf einem Polentabett angerichtet, beitragen würde.
Bevor sie aufbrechen, zupft er nervös an seiner Culotte herum und steckt beinahe die herum springenden Bracchi an, schon vorauszustürmen.

Der Comte ist an diesem Morgen mürrisch, es hat während der vergangenen Woche einige Pannen in der Prokuratur  gegeben, ein junger Cousin aus der französischen Linie sägt beständig an seinem Stuhl, man kann ihm aber nichts nachweisen. Der Ehrgeiz seines Sohnes erinnert ihn nur zu deutlich an seine Probleme und er fühlt sich erstmals alt.


 

Das Scharren der Pferdehufe, halblaute Schreie und dann das Schluchzen des Buben, alles fast gleichzeitig und trotzdem wie eine lange Weile, bis die schreckliche Neuigkeit sie erreicht. Der Comte sei von einem Querschläger getroffen worden, man kann sich nicht erklären, wie das geschehen konnte.





Die Comtessa kehrt trotz aller beharrlicher Versuche der Venediger Gesellschaft nicht mehr nach Venedig zurück.  Alles, was ihr bis dahin wichtig gewesen war, bekommt nun eine andere Bewertung. An diesem Ort, an dem sie mit ihrem Gemahl so viele Tage glücklich gewesen war entsteht nun ihr Lebensmittelpunkt. Luigi wächst in einer  Umgebung auf, die eine Leichtigkeit des Lebens vermittelt. In der Ferne umrahmen die Südalpen den Horizont, davor die sanften Hügeln von Valpolicella und rundherum fruchtbare Felder, Weingärten, in der Nähe auch der große See. Fröhlichkeit in der Natur und bei den Menschen dieser Gegend würden Luigi hoffentlich den jähen Tod seines Vaters vergessen machen.


 
Links und rechts des zentralen Weges stehen auf halber Strecke zwei mächtige, alte Olivenbäume. Ihr besonderer Wuchs fällt sofort auf, selbst wenn der Blick eher zum großen, zentral vor der Treppe gelegenen Springbrunnen wandert. Ich habe mich sofort in sie verliebt.

Nun, unter dem rechten hatte sich die Comtessa viele Stunden während der Woche aufgehalten und etwas Trost gefunden, wenn man genau hinsieht, zeichnet der Stamm ihre Locken nach. Beide Stämme neigen sich seitwärts dem Boden zu, als würden sie damit etwas der großen Trauer mildern wollen.



Als Luigi das Erbe seines Vaters antritt, beschließt die Comtessa, das von der Gesellschaft abgeschiedene Leben gewöhnt, nach Venedig zurückzugehen und in einen Nonnenorden einzutreten.  Als sie berechtigt ist, die Schwesterntracht anzulegen, beweist sie mit einer hohen Summe, dass es ihr mit ihrem neuen Leben ernst ist. Noch nie hat der Perückenmacher eine so hohe Summe bezahlt, das Vermögen ihres Mannes bleibt beim einzigen Sohn.

 
Solltest Du einmal die Villa Amista in Corrubbio nördlich von Verona besuchen, umarme die Olivenbäume, deren Stämme sich schwer zum Boden neigen. Die Kronen allerdings  wachsen unbeirrt dem Himmel zu.


Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Heute beherbergt das Haus ein 5 Sterne Hotel mit 60 unterschiedlich eingerichteten Zimmern, mit Designobjekten namhafter moderner Künstler. Möbel, Bilder und Installationen von Leuten wie Vanessa Beecroft, Takashi Murakami und Cindy Sherman erwecken den Eindruck eines Museums moderner Kunst.
Den Geist der unglücklichen Comtessa kann man immer noch spüren. Hat sie den Gestalter der Bilder am Fries der großen Halle inspiriert? 

http://www.reise-nach-italien.de/villen-venetien.html 

Montag, 22. Februar 2010

Die großen Pyramiden in Gizeh


Alle Männer in Ägypten heißen Mohamed. Dieser Satz in perfektem Deutsch begleitet von einem schiefen Lächeln sollte wohl die Stimmung im Bus auflockern. Dreieinhalb Autobahnstunden von Alexandria durch die Wüste nach Memphis und Gizeh liegen vor uns.

Erwartungsvolle Stille und ein Vorschuss an Vertrauen, was unsere Bereitschaft Informationen aufzunehmen betrifft, wird es der Reiseleiterin leicht machen ihre Botschaft an den Mann und die Frau zu bringen. Im Januar bei angenehmen 20° Lufttemperatur und mangels anderer Möglichkeiten sich die Zeit zu vertreiben, sickert erst allmählich durch, dass wir auf einer Art Kaffeefahrt in ägyptischer Variation unterwegs sind, mit dem entscheidenden Unterschied, dass wir hier eine Menge bezahlt haben, anstatt mit allerlei, wenn auch Unnötigem, beschenkt zu werden.

Sollte der geneigte Leser es noch nicht wissen: Legen sie sich unbedingt ein nicht zu kleines Lager an Papyrus an, es wird in naher Zukunft unbezahlbar und sie reich werden, denn ab morgen wird es nicht mehr produziert obwohl es unverwüstbar und für die Ewigkeit gemacht ist. Sie verstehen? Nach etwa drei Stunden Verkaufsfahrt und resigniert, doch noch etwas Essentielles über Ägypten zu erfahren, gibt es plötzlich jede Menge zu sehen.


Wir fahren durch Memphis, d.h. ein extraterrestrisches Busschiff mit gut angezogenen und genährten, mit dem nötigen Kleingeld versorgten Weißhäutigen gleitet durch eine Welt, die gänzlich anders funktioniert, als diejenige die uns vertraut ist. An einem Kanal entlangfahrend beobachten wir Menschen, die mit großen Stangen und einfachen Hilfsmitteln im Wasser nach allem fischen, was sie erwischen können. Von Tierkadavern bis zu allerlei Müll ist hier alles geboten. Wir sind geschockt - Memphis - ein klingender Name. War da nicht einst eine Hochkultur angesiedelt? 
 

Das weiche Nachmittagslicht der tiefstehenden Wintersonne am 3. Januar bricht sich an der Kante der Chephren Pyramide und taucht die große Cheopspyramide in ein warmes, gelbes Licht. Mit dem Rücken davor stehend blicken wir auf das Häusermeer von Kairo vor und unter uns. Es erscheint trotz einer Smogwolke erstaunlich nahe.

 An vielen herausragenden Sehenswürdigkeiten dieser Erde, an deren vorderster Front auch die Pyramiden von Gizeh stehen, werden die Besucher in einen geschützten Bereich geleitet, zahlen Eintritt und bekommen eine Menge detaillierter Informationen. Man denke an Stonehenge oder Machu Pichu. Verbotstafeln begleiten einen auf Schritt und Tritt und wachsame Ordner achten auf jede Bewegung. Mit solcherlei Erfahrungen stehen wir nun hier, an einem der eindrucksvollsten Bauwerke, die die Menschheit je hervorgebracht hat, und eine der wenigen, die auch noch aus dem Weltall zu sehen
sind und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Mit dem Wunsch und der inneren Einstellung, die mich immer auf meinen Reisen begleitet, die Seele eines Ortes kennenzulernen und mit ihr zu kommunizieren stehe ich nun hier, vollkommen überfordert von dem Treiben um mich herum. Nach einer ewig anmutenden Schrecksekunde möchte ich mich auf diesen einst heiligen Ort einstellen, was alle meine Konzentration fordert. Rund um mich summt das Leben und kaufmännische Treiben: 
Neben einer Phalanx von Reisebussen direkt zu Füßen der Pyramiden versuchen Kinder, alte Männer, Männer in Uniformen Geschäfte mit den Touristen zu machen, unser Weg gleicht einem Spießrutenlauf mit abwehrenden Bewegungen. Nein, ich mag weder auf einem Kamel reiten, noch meine Hand fürs Foto effektvoll auf das Dach der Pyramide legen, noch als Scheich verkleidet werden, und auch nicht Geld wechseln. Diese Abneigung teile ich allerdings nicht mit allen Touris hier. Bis ich direkt an der untersten Reihe der riesigen Steinquader angekommen bin, bleibt noch eine Viertelstunde Zeit, um mich einzustimmen.
 

Ich blicke hinauf zur Spitze der Chephren Pyramide und an der Kante entlang hinunter bis zur Basis. Jeder Versuch die Stufen zu zählen, würde fehlschlagen, die Kanten tanzen vor den Augen Tango, alles verschwimmt in dieser unglaublichen Neigung und Höhe. Tausendmal Abbildungen gesehen, stehe ich sprachlos da, und stelle mir wohl diesselbe Frage, wie alle, die hierher kommen. Wie haben es die Menschen damals nur angestellt, diese Ehrfurcht gebietenden Bauwerke zu errichten und wie konnten diese so viele Jahrtausende in solch einem guten Zustand erhalten bleiben. Wissenschaftler sind dem Geheimnis der Entstehung offensichtlich schon sehr nahe gekommen. Mit modernen Techniken, wie der Computeranimation lassen sich neue Theorien auch leichter verifizieren.

Neben all dem lauten Treiben ist bei den Besuchern eine Ehrfurcht und ein großes Staunen zu spüren. Manche sind auf die unterste Reihe der Quader geklettert und sitzen einfach da, je näher sie gekommen sind, umso mehr verstummten sie, den Blick nach innen gekehrt. 

Ich schaue hinunter auf Kairo, die Stadt unter der Schmutzglocke und auf einmal ist es da: Hier zieht sich durch Jahrtausende hindurch ein starkes Gefälle durch alles Leben. Vom einfachsten Sklaven bis zum Gottkönig symbolisieren die Pyramiden auch ein extremes Gefälle zwischen Menschen unterschiedlicher Abstammung und Klassen, selbst einem Pharao, verkrüppelt aus einer Inzestbeziehung geboren und früh gestorben, wurde ungeteilte Ehrerbietung zuteil. Bis heute wird an den Mumien mit modernsten Mitteln der Genforschung untersucht, um die letzten Rätsel der Pharaonen zu lösen.


Vieles hier läßt Polarität sehr ausgeprägt erkennen: Wie Menschen nebeneinander leben, im Elend, täglich Müll aus einem verseuchten Kanal fischend steht dem gegenüber, dass wohlhabende Frauen als sichtbares Zeichen ihres Reichtums mit unzähligen Armreifen aus Gold ihren alltäglichen Tätigkeiten nachgehen. Unsere Reiseführerin argumentiert diesen Umstand so, dass sie ja besser auf ihre Schätze aufpassen könnten, wenn sie sie mit sich herumtrügen. 


Wüste neben Oase, teure Autos auf den Strassen neben Eselkarren mit ein wenig Gemüse oder Gras geladen, die starken Gegensätze sind unübersehbar. Wie das ungeheuer steile Gefälle der Pyramiden scheinen die Menschen hier ganz tief verinnerlicht zu haben, dass der Eine von Gott auf die Sonnenseite des Lebens und der Andere in den Dreck und in das Elend geworfen worden ist. Ist es Gleichmut oder Resignation oder beides, womit die Menschen hier darauf antworten auf dem falschen Ende gelandet zu sein. Unternehmen sie vielleicht auch auf die eine oder andere Art und Weise einen Versuch, die Pyramiden zu besteigen, mögen sie noch so steil sein?

Schon im Weggehen erschließt sich meinem inneren Auge eine unglaublich majestätische, große Lichtpyramide, die an ihrer Grundfläche eine ebenso strahlend schöne lichtvolle Entsprechung in den Boden hinein entfaltet und ich wünsche mir aus tiefsten Herzen, dass diese überirdisch große, in sich ruhende Kraft uns Menschen einmal zu gleichwertigen Brüdern und Schwestern geleitet.
Wie sagte unsere Reiseführerin für die Gegenwart so unzutreffend: Alle Männer in Ägypten heißen Mohamed, ein heiliger Name, der ein gutes Leben für Männer und Frauen zu Füßen dieses Weltwunders verdienen würde.

Mittwoch, 10. Februar 2010

Die Nixe vom Weissensee

Der Tiefgrabner war schon länger dort. Er saß auf der Bank und massierte sich das rechte Knie als ich dazukam. Er schaute kurz auf, erkannte und begrüßte mich, wandte sein Gesicht aber gleich wieder seinem Bein zu. Ich dachte erst, er hätte sich verletzt und setzte mich zu ihm, um Hilfe anzubieten. Er blickte vor sich hin, hinunter zum See, der steil bergab direkt unter uns lag. Man hatte die Bank an die wohl schönste Stelle zwischen dem Ronacherfels und dem Campingplatz an einen kleinen Felsvorsprung platziert. Zwischen den Fichten schien das milchig türkisblaue Wasser leicht erreichbar zu sein, aber die starke Neigung ließ es nicht ratsam erscheinen die kurze Distanz zu überwinden.







 

 





Ich war wohl einige Minuten mit der Idee beschäftigt gewesen, wie es wäre hierher zu schwimmen, da sprach er mich an, zuerst begriff ich gar nicht, was er gemeint haben könnte, bis mir klar wurde, er hatte gar nicht bewusst registriert , dass jemand neben ihm saß und mich damit etwas verwirrt, hatte er mich doch davor begrüßt. Er entschuldigte sich kurz für seine Unhöflichkeit, tauchte aber gleich wieder in seine Gedanken ab, was ich daran erkannte, dass er wieder begann in einem ganz eigenen Rhythmus sein rechtes Knie zu massieren. Zwischendurch nickte er auch mal mit dem Kopf, als würde er einem unsichtbaren Gegenüber zustimmen. Es schien mir, als würde ich ihn mit einem Smalltalk stören und so blieb ich einfach sitzen und genoss die Aussicht. Irgendwie schien es mir wichtig, noch zu bleiben. Nach einigen Minuten einer dichten, milchigen Stille begann er zu reden: Über die Entscheidung, die er zwanzig Jahre zuvor getroffen hatte.  















Sie, seine Frau Inge kam damals oft mit ihrer älteren Schwester Rosi, die einen Sinn für dramatische Auftritte hatte, immer am Laufenden war, was in der Clique wer zu wem gesagt oder wer wem etwas angetan hatte. Ihre Treffen kamen ihm aus späterer Sicht kurzweilig vor, man wusste im Vorhinein nie, wie sich die Gespräche und Neckereien entwickeln würden. Rosi hatte die Gabe, aus langweiligen Sommernachmittagen ereignisreiche Filmszenen zu machen. Erst Jahre später wurde ihm klar, dass Inge sich neben ihrer exaltierten Schwester in die Nische einer Zuschauerin zurückgezogen hatte. Sie hatte keine Vorstellung davon, dass irgendein Junge sich für sie interessieren konnte. Er brachte einige Beispiele vor, immer, wie hypnotisiert auf das Wasser unter uns blickend, als spräche er zu sich selbst. 

Einer plötzlichen Eingebung folgend fragte ich ihn, ob dies alles denn heute noch wichtig wäre und auch ich beobachtete das im Sonnenlicht schimmernde Türkis zu unseren Füßen und es schien mir, als würden goldene Reflexe knapp unterhalb der Wasseroberfläche in Spiralbewegungen aufwärts wandern. Es vergingen mehrere Minuten im Schweigen, er saß regungslos da, ich war irgendwie blockiert, wusste nicht, ob ich aufstehen und gehen oder doch noch etwas sagen sollte, höflichkeitshalber, bevor ich gehen würde. Doch er begann wieder zu sprechen, zuerst ganz langsam und stockend, dann immer schneller werdend, ähnlich einer Dampflok, die langsam erst richtig Fahrt aufzunimmt. Inge, sagte er, muß wohl die vielen Jahre ihrer Ehe lang immer gedacht haben, dass sie nur die zweite Wahl für ihn gewesen war, er sie nur genommen hatte, weil er Rosi nicht haben konnte.  













Er sprang auf, machte wild kreisende Bewegungen mit seiner Hand vor dem Kopf, während er sich selbst erklärte, was nun zu tun war und mit einem Mal saß ich alleine da, wie aus einem Traum erwacht. Ich blickte zwischen den Baumstämmen hinunter ins Wasser und vernahm ein Summen und leises Plätschern, ganz sanft, ganz heiter und entspannt. Ich muß wohl noch ziemlich lange da gesessen haben, es gab keine Zeit, nur Frieden und ein sattes Gefühl tief drin.  


Zurück am Ronacherfels, saßen schon alle Pensionsgäste beim Abendessen. Bevor ich mich setzte, konnte ich noch einen Blick vom Tiefgrabner und seiner Inge am hintersten Tisch direkt vor dem Fels erhaschen. Sie hatte ganz rote, aufgeregte Wangen und strahlte über ihr ganzes Gesicht.  
Die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages legten sich auf meine Haut, als ich wenig später am Bootssteg saß, um zu ergründen, wo die psychologisch so gut bewanderte Nixe wohl Ihren Abend verbrachte und wie sie es geschafft hatte, mich als ihr Sprachrohr einzuspannen.

Samstag, 6. Februar 2010

Magischer Weissensee in Kärnten

Ein erster Blick auf den See vom Kreuzberg kommend enttäuscht immer. Viel zu schnell verstellt die Bäckerei , die Post, die Volksschule, das Hotel zur Forelle die Möglichkeit wieder einmal ganz von Neuem einen Kontakt mit diesem weichen, sanften, zugegeben in dieser Jahreszeit durch eine feste Haut geschützten Körper aufzunehmen. So belang- und harmlos kommt die anfangs Februar meist schon verschneite Eisfläche diesseits der Brücke, von den Hiesigen stolz "kleines Meer" genannt, daher. Von der Straße in Oberdorf aus erscheinen die präparierten Bahnen für die Eisläufer wie das Werk eines gestressten Managers, der in seinem kleinen Zengarten viel zu viele Kringel in den Sand gezogen hat. Da bleibt kein Platz mehr für das Dazwischen, alles wurde genützt, verplant. 200 km Marathon werden gefahren, das braucht Platz.

Ein zweiter, näherer Blick wird möglich. In Techendorf über die Brücke, prüfend, wie das Eis dieses Jahr aussieht. Wird es fein sein zum Gleiten? Auch ein Blick hinüber auf das "große Meer", und wie jedes Jahr ein kurzer Gedanke an den großen Riesen. Als er kam, um die runden Zentralalpen und die schroffen Südalpen aufzutürmen, da hat sich hier ein kleiner nutzloser, von wenig imposanten Bergrücken begrenzter Spalt aufgetan. Damit er sich nicht immer wieder dafür schämen oder sich darüber ärgern musste, machte er den Blick frei auf die Dolomiten westwärts. Im Osten wars wurscht, da war nichts mehr zu retten, ein jämmerlicher schmaler Graben, an der Schattseite im Winter vom Sonnenlicht unversorgt. Was ist es dann, was uns fasziniert, anzieht immer wieder zurückzukehren, zu sehen, ob "es" immer noch da ist, dieses Gefühl von Eingetaucht und Getragen sein.

An die 3500 Holländer fahren hier seit Jahren Ende Januar ihre Alternative 11 Städte Tour, ein Rennen der Superlative. Vom Morgengrauen bis zur Dämmerung sausen bunte Trikots mit Füßen und Köpfen in einer Haltung ähnlich den Radrennfahrern, im rechten Winkel vornübergebeugt, den Kopf im Nacken, der Blick zugleich nach vorne und hinunter. Im Eis ist auf die Dehnungsrisse zu achten. Wenn man jetzt Einzelkämpfer vor dem geistigen Auge hat, so ist das nicht ganz richtig. Hier fahren Gruppen von Menschen, Teams im dichten Pulk miteinander, wie ein Organismus, ähnlich Fischschwärmen, die Körper dicht an dicht im hohen Tempo hochkonzentriert ihre Runden. Des Abends wird dann in großen Zelten am Eis fröhlich und ausdauernd gefeiert. Nach diesem in Europa einzigartigem Ereignis kehrt wieder gelassene Ruhe ein, manche kleinen Gruppen ziehen weiter ihre Kreise, daneben Schulgruppen mit Eishocheyschlägern, Familien mit Kinderwägen und Rodeln, Spaziergänger.

Die Energie vom Kreisen liegt noch in der Luft, man begibt sich an einer beliebigen Stelle auf die Bahn, und beginnt sich langsam auf einen Rhyhtmus einzustellen, die Sprünge im Eis im genügend spitzen Winkel anzufahren, um nicht hängenzubleiben. Nach Osten gleitend, die Brücke mit der Betriebsamkeit des Hauptortes hinter sich lassend umfängt einem bald die Weite der Fläche, Richtung Paterzipf und Neusach dehnt sie sich genüsslich aus und verbreitet eine stille Heiterkeit. Hier kommen noch alle vorbei, auch diejenigen mit wenig Kondition kommen über die Runden. Der großen Wiese am Paterzipf gegenüber leuchten die Wedel des Schilfgrases, in der früh vom aufsteigenden Nebel mit Raureif zusätzlich befiedert, zwischen den Stegen und kleinen Bootshäusern. Ein monochromes Bild aus allen Abstufungen von weiß bis braun, die dunklen Holztöne der Balkone der Häuser im Hintergrund bilden einen Rahmen, der in wiederkehrenden Mustern dem Auge im Weiterwandern ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Man muss sich schon ganz gezielt das eine oder andere Detail einprägen, um wieder an den Ausganspunkt zurück zu finden.

Doch soweit sind wir noch lange nicht. Das Geheimnisvolle wartet. Der Blick sucht Richtung Osten einen hervorspringenden Punkt. Das letzte Haus am Nordufer. Dahinter führt nur mehr ein schmaler Wanderweg zwischen den bis zur Wasserfläche herab wachsenden Nadelbäumen. Der Ronacherfels zieht uns an und hier beginnt nun der Teil des Sees, der sich im Näherkommen langsam und Teil für Teil dem Auge erschließt. Spätestens hier nun hat man seinen Rhythmus gefunden und hier hört man auch plötzlich das Kratzen der eigenen Kufen auf dem Eis. Es wird ruhig, nur mehr wenige schlittschuhwandern bis hierher mit dem Ziel die ganze Runde bis zum Dolomitenblick am Ostende des Weissensees auszufahren. Runde 18 km sind es von der Brücke bis hierher und wieder zurück. Zwischendurch könnte vage Langeweile aufkommen, keine Ablenkungen für den Blick nach vorne, der Wald reicht rundum herunter bis ans Eis, entlang klei

ner Ausbuchtungen am Ufer erschließt sich immer wieder ein weiterer Blick dem Ende entgegen. Und plötzlich stellt sich eine Ruhe im Inneren ein, während die Beine von selbst wissen, was sie tun, entstehen im Geist zuerst in großen, dann immer kleiner werdenden konzentrischen Kreisen Bilder zu Themen in der eigenen Biografie. Von Jahr zu Jahr rätsele ich vorher, was wohl diesmal auftauchen könnte. Welcher Aspekt meiner Arbeit oder Beziehungen könnte hier eine Wandlung erfahren. Es lässt sich nicht vorhersehen, das ist aber gar nicht nötig. Plötzlich ist es nämlich da, ganz dick und intensiv, so wie die Rennläufer die Tage vorher mit all ihrer Energie, ihrem Einsatz und ihrer Lebensfreude an ihrem Projekt arbeiten. Der große Geist des Weissensees mit seinem Stützpunkt am Ronacherfels, wenn man auf der Seeveranda ganz hinten Platz nimmt, kann man besonders gut im Abendlicht sein Profil im Fels erkennen, hat seinen Einfluss geltend gemacht.

Seine Energie stellt große konzentrische Kreise zur Verfügung, die im

mer kleiner werden, etwa der umgekehrte Vorgang, wenn man einen Stein ins Wasser wirft. Die Eisläufer nehmen diesen Vorgang auf und verstärken ihn durch ihre Bewegung jeden Tag aufs Neue. Durch das entspannte und absichtslose Gleiten kommt es zu einer Verbindung mit dieser Qualität des Ortes.

Manchmal schon am ersten, oft an den weiteren Tagen meines Hierseins bekomme ich eine

neue Perspektive zu dem einen oder anderen Aspekt in meinem Leben, manchmal wird es ganz dicht und klar, wie wenn man durch ein zuerst schlecht eingestelltes Fernrohr blickte und es dann scharfstellte.

So werden die Besuche zu diesem krafvollen und wunderschönen Ort zu einer Reise zu einem neuen und noch verborgenen Teil meiner Selbst.

Der Geist des Weissensees hat mich noch nie enttäuscht.