Mittwoch, 7. April 2010

Der Harem im Serail von Istanbul

Natürlich besichtigt man als Mitteleuropäerin einen Harem mit einer bestimmten Vorstellung, die eng mit dem eigenen Frauenbild und der Stellung der Frau in der modernen Gesellschaft zusammenhängt.
Wir haben nur einige wenige Stunden Zeit für Istanbul, in diesem Jahr Kulturhauptstadt und klar ist, wir wollen in dieser  faszinierenden Metropole etwas ganz Besonderes sehen.
Unsere erste Wahl fällt auf das Topkapi Serail, durch viele Jahrhunderte der Palast für die Sultane und deren Hofstaat. So beginnen wir mit einer Lebensart in vergangenen Zeiten, für das heutige, lebendige und vielschichtige Istanbul müssen wir ein anderes Mal wiederkehren.
Schon vom Schiff her ein beeindruckender Anblick, eine weitläufige Anlage auf einer hügeligen Landzunge vor dem Goldenen Horn, prominente Lage für die Herrscher eines im Mittelalter großen Reiches.

 
Als eine der ersten Besucher morgens betreten wir an diesem sehr nebeligen und kalten Frühlingstag den Frauentrakt des Palastes.
Nun, egal welche Vorstellungen vorher da waren, ich kann versichern, sie werden hier gründlich revidiert werden.


Mehr als 300 Räume, viele kleinere und größere Innenhöfe, lange Gänge, Badeanstalten und größere Gesellschaftsräume ließen eine ganz eigene, kleine Stadt innerhalb der Palastmauern entstehen.
Es ist dunkel drinnen und es hallt bei jedem Schritt. Wir gehen auf Marmor. Alle Wände, ob innen oder außen sind mit prächtig ornamentierten Fayencefliesen verkleidet. Wunderschöne Motive, streng stilisierte Blüten von Nelken, Tulpen oder Rosen, Ranken und Zypressen, alles sehr gut erhalten. Wenn man weiß, wie aufwendig und heikel die Herstellung solcher Keramiken war, beispielsweise Farbtöne bei den einzelnen Bränden sehr ähnlich zu bekommen, ist man noch mehr beeindruckt.

Die leuchtende Schönheit der Farben, die großartige Entfaltung der Ornamentik und die meisterhafte technische Ausführung machen diese Keramiken zu einzigartigen Schöpfungen des Orients, die seit vielen Jahrhunderten ihre Pracht behalten haben.


Um die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben: Unsere Fantasie ist gefragt, um sich das Leben hier ein wenig vorstellen zu können, denn die Räume sind leer, abgesehen von einem der Gesellschafträume. Hier kann man Sitzgelegenheiten in einem ziemlich schlechten Zustand sehen, aber immerhin, es wirkt alles, wie wir sagen würden, orientalisch.

Hat es mit dem Umstand, dass jegliches Mobiliar fehlt, zu tun oder ist es etwas anderes, dass sich das Gefühl nicht einstellen mag, dass innerhalb dieser düsteren Mauern ein angenehmes Leben, Ausschweifungen, Pomp und aller erdenklicher Luxus geherrscht haben.
Die Energie kommt eher sachlich, streng und geregelt herüber.
Einer der mit Marmorplatten ausgelegten Höfe öffnet sich zu einem Platz, der den Blick zum Goldenen Horn und der Galatabrücke freigibt. Wir atmen fast auf, plötzlich wird es uns noch mehr bewusst, dass dieser ganze Bereich wie ein Gefängnis wirkt oder sagen wir eher, wie ein einst goldener Käfig.


Die weitläufige Anlage des Topkapi Serails umfasst vier Höfe, einen großen Park und viele prächtige Gebäude. Heute sind hier unter anderem eine Schatzkammer mit Edelsteinen beeindruckender Größe, eine Miniaturensammlung und vieles mehr untergebracht. Es gibt Gegenstände zu bestaunen, die man durchaus mit dem Reichtum des Orients in Verbindung bringt.


Wieder Zuhause möchte ich etwas mehr über den Harem erfahren und werde in einer Publikation der Uni Hannover fündig.
Einige europäische Beobachter sind zu der Auffassung gekommen, dass der Harem (übersetzt: tabu, heilig) mit seiner disziplinierten und hierarchischen Organisation viel eher einem Kloster glich als einem Liebesnest, das eigentlich nur in den Projektionen und Wunschträumen der Europäer existierte.
Da die Geschichtsschreibung über das Leben der Frauen schwieg, enthalten die Hofchroniken kaum Auskünfte über den Alltag der Haremsbewohnerinnen. Der Harem blieb als Wohnort für zeitweise an die 800 Frauen, Erziehungsanstalt und sozialer Raum geheimnisvoll und unerforschlich.


Sicher ist, dass eine intime Beziehung des Sultan mit nur einer Frau als illegitim galt. Die Fortdauer der Dynastie schien ungesichert, wenn angesichts einer hohen Sterblichkeitsrate durch Krankheiten und Dauerkriege das Fortbestehen der Familie von der Gebärfähigkeit einer einzigen Frau abhängig gewesen wäre.


So deutlich wie unromantisch. Wenn wir versuchen uns auf die Lebensweise in der osmanischen Oberschicht des 17. Jahrhunderts  einzufühlen, gelangen wir bald zu der Feststellung, wie verschieden doch Menschen in Gemeinschaften ihr Leben gestalten und wie schade es ist, dass so viel vom Wissen über das tägliche Leben im Harem des Topkapi Serails verlorengegangen ist.

Zurückkommend ins Jahr 2010 macht Istanbul neugierig darauf, mehr über das Miteinander verschiedener Lebenseinstellungen in einer der größten Städte Europas zu erfahren. 

http://www.dta-uni-hannover.de/publik/haremsfrauen.htm 

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