Dienstag, 28. Dezember 2010

Castle Salem

„Warten sie hier, ich hole die Taschenlampe“. Alleine in einer Art Zwischengeschoss stehend, sehe ich mich das erste Mal genauer um. Über der alten Holztreppe liegt ein stark gemusterter dicker Rollteppich, ein paar wenige Stufen trennen mich vom oberen Stockwerk, wo mir Margaret vor ein paar Minuten mein Zimmer gezeigt hat. „Sie brauchen keinen Schlüssel“ erklärt sie mir auf meinen fragenden Blick hin, „sie sind unser einziger Gast heute“. Neben dem Fenster im Treppenhaus steht auf einer kleinen weißgestrichenen Kommode eine Madonna auf einem kleinen Häkeldeckchen.
„Sehn sie, diese jahrhundertealte Eichentüre führt uns direkt in die Burg“! Diese zarte Frau, kaum größer als 150 cm, weist auf den Eingang hinter mir und dreht einen Schlüssel der Art, wie man sie von Museumsbesuchen kennt im riesigen Schloss um. Bis dahin etwas belustigt über Margarets Angebot, mir doch gleich die alten Burgmauern zu zeigen, bin ich jetzt doch ein wenig neugierig geworden.

Ich hatte eine Nacht in diesem Bed and Breakfast gebucht, weil ich auf meinen Reisen gerne in Kontakt mit den Menschen auf der Suche nach dem authentischen Leben bin und abseits der Touristenpfade meist kleine Überraschungen auf mich warten. Nun, Castle Salem liegt mehr als abgelegen, obwohl es nicht weit von der Hauptdurchzugsstraße entfernt ist.

Durch eine kleine Allee und an einer in Form geschnittenen Hecke entlang steuerte ich direkt auf das Haus zu. Ein kleiner braun-weiß gefleckter Rover empfing mich, indem er mein Auto und mich nicht aus den Augen ließ.



Ich muss nun über eine breite Schwelle treten und vor mir tut sich eine enge und stark gewundene Wendeltreppe auf. Margaret bietet mir die Taschenlampe an und ermuntert mich, hinaufzugehen.



Von einem kleinen hölzernen Podest aus ungehobelten Kanthölzern kann ich in einen riesigen Raum zwei Stockwerke hoch sehen. Die Decke zum zweiten Stock ist schon renoviert. Die schlimmsten Schäden betrafen allerdings das Dach, als die Familie Daly beschloss etwas zu unternehmen, um die Bausubstanz zu retten.

Castle Salem war 1470 von Catherine, der Tochter des Earl of Desmond in Auftrag gegeben worden. Ein einfacher zweistöckiger Wohnturm, wie man ihn aus England kennt. Heute zählt dieses Gebäude zu den besterhaltenen dieser Art aus dem 15. Jahrhundert in Irland. Es ist eine der wenigen Burgen, die nicht von den Cromwellianern zerstört worden waren.



Wer kennt nicht die unzähligen Schloss- und Burgruinen in Irland, auch diese Burg hätte beinahe dasselbe Schicksal ereilt. Vor etwa 300 Jahren wurde ein einstöckiges Farmerhaus direkt an die Burgmauern angebaut, seit hundert Jahren ist dieses Anwesen im Besitz der Familie Daly.

Die kleine Lady, irgendwie erinnert sie mich in ihrer Körperhaltung und mit ihren wachen Augen an die englische Queen, erzählt mir die Geschichte ihrer Familie und die des ganzen Anwesens mit einer Begeisterung, als wäre ich die erste und einzige, der zu erzählen sie endlich die Gelegenheit hat. Sie zeigt mir das Dach, das sie mit ihrer Familie wieder instandgesetzt hat. Nach und nach wird mir klar, warum der Preis für das Zimmer so günstig ist. Margarets Strategie, dem Besucher das Gefühl zu geben, an etwas ganz außergewöhnlichen und seltenen teilhaben zu dürfen, lässt mich in Erwägung ziehen, etwas für dieses engagierte Projekt zu spenden, wie so viele andere vor mir auch. Sie würde mir in der Lounge das Goldene Buch von Castle Salem zeigen, wo alle Freunde und Unterstützer ihres Lebenswerkes verewigt sind. Ich könne mir nicht vorstellen, aus wie vielen Teilen der ganzen Welt schon Gäste für den Erhalt dieser alten Steine ein paar Scheine dagelassen hätten. Steine, die tausend Worte zu uns sprechen und nicht für immer verstummen sollten.



„Was sind schon zwanzig Euro mehr für die Übernachtung“ denke ich, dafür dass ich im Goldenen Buch verewigt werde und Margaret immer mit einem warmen Gefühl an mich denkt, wenn sie meinen Namen unter all den anderen liest!
„Jetzt haben sie sich ein paar Scones und eine Tasse heißen Tee verdient, sie mögen doch Tee?“ sagt Margaret, als sie die schwere Eichentüre wieder schließt.
Ich freue mich auf eine kleine Plauderstunde mit dieser quirligen kleinen Dame im fortgeschrittenen Pensionsalter und ich werde nicht enttäuscht. Was sie mir noch zu erzählen hat ist allerdings eine weitere und gänzlich andere Geschichte.
Neugierig geworden?  I´ll give you a hint: What about this strange name: Castle Salem?
Diese Geschichte führte uns ins ferne Amerika und viel zu weit weg von den alten Steinen und der engagierten Margaret mit den wach blitzenden Augen.