Montag, 22. Februar 2010

Die großen Pyramiden in Gizeh


Alle Männer in Ägypten heißen Mohamed. Dieser Satz in perfektem Deutsch begleitet von einem schiefen Lächeln sollte wohl die Stimmung im Bus auflockern. Dreieinhalb Autobahnstunden von Alexandria durch die Wüste nach Memphis und Gizeh liegen vor uns.

Erwartungsvolle Stille und ein Vorschuss an Vertrauen, was unsere Bereitschaft Informationen aufzunehmen betrifft, wird es der Reiseleiterin leicht machen ihre Botschaft an den Mann und die Frau zu bringen. Im Januar bei angenehmen 20° Lufttemperatur und mangels anderer Möglichkeiten sich die Zeit zu vertreiben, sickert erst allmählich durch, dass wir auf einer Art Kaffeefahrt in ägyptischer Variation unterwegs sind, mit dem entscheidenden Unterschied, dass wir hier eine Menge bezahlt haben, anstatt mit allerlei, wenn auch Unnötigem, beschenkt zu werden.

Sollte der geneigte Leser es noch nicht wissen: Legen sie sich unbedingt ein nicht zu kleines Lager an Papyrus an, es wird in naher Zukunft unbezahlbar und sie reich werden, denn ab morgen wird es nicht mehr produziert obwohl es unverwüstbar und für die Ewigkeit gemacht ist. Sie verstehen? Nach etwa drei Stunden Verkaufsfahrt und resigniert, doch noch etwas Essentielles über Ägypten zu erfahren, gibt es plötzlich jede Menge zu sehen.


Wir fahren durch Memphis, d.h. ein extraterrestrisches Busschiff mit gut angezogenen und genährten, mit dem nötigen Kleingeld versorgten Weißhäutigen gleitet durch eine Welt, die gänzlich anders funktioniert, als diejenige die uns vertraut ist. An einem Kanal entlangfahrend beobachten wir Menschen, die mit großen Stangen und einfachen Hilfsmitteln im Wasser nach allem fischen, was sie erwischen können. Von Tierkadavern bis zu allerlei Müll ist hier alles geboten. Wir sind geschockt - Memphis - ein klingender Name. War da nicht einst eine Hochkultur angesiedelt? 
 

Das weiche Nachmittagslicht der tiefstehenden Wintersonne am 3. Januar bricht sich an der Kante der Chephren Pyramide und taucht die große Cheopspyramide in ein warmes, gelbes Licht. Mit dem Rücken davor stehend blicken wir auf das Häusermeer von Kairo vor und unter uns. Es erscheint trotz einer Smogwolke erstaunlich nahe.

 An vielen herausragenden Sehenswürdigkeiten dieser Erde, an deren vorderster Front auch die Pyramiden von Gizeh stehen, werden die Besucher in einen geschützten Bereich geleitet, zahlen Eintritt und bekommen eine Menge detaillierter Informationen. Man denke an Stonehenge oder Machu Pichu. Verbotstafeln begleiten einen auf Schritt und Tritt und wachsame Ordner achten auf jede Bewegung. Mit solcherlei Erfahrungen stehen wir nun hier, an einem der eindrucksvollsten Bauwerke, die die Menschheit je hervorgebracht hat, und eine der wenigen, die auch noch aus dem Weltall zu sehen
sind und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Mit dem Wunsch und der inneren Einstellung, die mich immer auf meinen Reisen begleitet, die Seele eines Ortes kennenzulernen und mit ihr zu kommunizieren stehe ich nun hier, vollkommen überfordert von dem Treiben um mich herum. Nach einer ewig anmutenden Schrecksekunde möchte ich mich auf diesen einst heiligen Ort einstellen, was alle meine Konzentration fordert. Rund um mich summt das Leben und kaufmännische Treiben: 
Neben einer Phalanx von Reisebussen direkt zu Füßen der Pyramiden versuchen Kinder, alte Männer, Männer in Uniformen Geschäfte mit den Touristen zu machen, unser Weg gleicht einem Spießrutenlauf mit abwehrenden Bewegungen. Nein, ich mag weder auf einem Kamel reiten, noch meine Hand fürs Foto effektvoll auf das Dach der Pyramide legen, noch als Scheich verkleidet werden, und auch nicht Geld wechseln. Diese Abneigung teile ich allerdings nicht mit allen Touris hier. Bis ich direkt an der untersten Reihe der riesigen Steinquader angekommen bin, bleibt noch eine Viertelstunde Zeit, um mich einzustimmen.
 

Ich blicke hinauf zur Spitze der Chephren Pyramide und an der Kante entlang hinunter bis zur Basis. Jeder Versuch die Stufen zu zählen, würde fehlschlagen, die Kanten tanzen vor den Augen Tango, alles verschwimmt in dieser unglaublichen Neigung und Höhe. Tausendmal Abbildungen gesehen, stehe ich sprachlos da, und stelle mir wohl diesselbe Frage, wie alle, die hierher kommen. Wie haben es die Menschen damals nur angestellt, diese Ehrfurcht gebietenden Bauwerke zu errichten und wie konnten diese so viele Jahrtausende in solch einem guten Zustand erhalten bleiben. Wissenschaftler sind dem Geheimnis der Entstehung offensichtlich schon sehr nahe gekommen. Mit modernen Techniken, wie der Computeranimation lassen sich neue Theorien auch leichter verifizieren.

Neben all dem lauten Treiben ist bei den Besuchern eine Ehrfurcht und ein großes Staunen zu spüren. Manche sind auf die unterste Reihe der Quader geklettert und sitzen einfach da, je näher sie gekommen sind, umso mehr verstummten sie, den Blick nach innen gekehrt. 

Ich schaue hinunter auf Kairo, die Stadt unter der Schmutzglocke und auf einmal ist es da: Hier zieht sich durch Jahrtausende hindurch ein starkes Gefälle durch alles Leben. Vom einfachsten Sklaven bis zum Gottkönig symbolisieren die Pyramiden auch ein extremes Gefälle zwischen Menschen unterschiedlicher Abstammung und Klassen, selbst einem Pharao, verkrüppelt aus einer Inzestbeziehung geboren und früh gestorben, wurde ungeteilte Ehrerbietung zuteil. Bis heute wird an den Mumien mit modernsten Mitteln der Genforschung untersucht, um die letzten Rätsel der Pharaonen zu lösen.


Vieles hier läßt Polarität sehr ausgeprägt erkennen: Wie Menschen nebeneinander leben, im Elend, täglich Müll aus einem verseuchten Kanal fischend steht dem gegenüber, dass wohlhabende Frauen als sichtbares Zeichen ihres Reichtums mit unzähligen Armreifen aus Gold ihren alltäglichen Tätigkeiten nachgehen. Unsere Reiseführerin argumentiert diesen Umstand so, dass sie ja besser auf ihre Schätze aufpassen könnten, wenn sie sie mit sich herumtrügen. 


Wüste neben Oase, teure Autos auf den Strassen neben Eselkarren mit ein wenig Gemüse oder Gras geladen, die starken Gegensätze sind unübersehbar. Wie das ungeheuer steile Gefälle der Pyramiden scheinen die Menschen hier ganz tief verinnerlicht zu haben, dass der Eine von Gott auf die Sonnenseite des Lebens und der Andere in den Dreck und in das Elend geworfen worden ist. Ist es Gleichmut oder Resignation oder beides, womit die Menschen hier darauf antworten auf dem falschen Ende gelandet zu sein. Unternehmen sie vielleicht auch auf die eine oder andere Art und Weise einen Versuch, die Pyramiden zu besteigen, mögen sie noch so steil sein?

Schon im Weggehen erschließt sich meinem inneren Auge eine unglaublich majestätische, große Lichtpyramide, die an ihrer Grundfläche eine ebenso strahlend schöne lichtvolle Entsprechung in den Boden hinein entfaltet und ich wünsche mir aus tiefsten Herzen, dass diese überirdisch große, in sich ruhende Kraft uns Menschen einmal zu gleichwertigen Brüdern und Schwestern geleitet.
Wie sagte unsere Reiseführerin für die Gegenwart so unzutreffend: Alle Männer in Ägypten heißen Mohamed, ein heiliger Name, der ein gutes Leben für Männer und Frauen zu Füßen dieses Weltwunders verdienen würde.

Mittwoch, 10. Februar 2010

Die Nixe vom Weissensee

Der Tiefgrabner war schon länger dort. Er saß auf der Bank und massierte sich das rechte Knie als ich dazukam. Er schaute kurz auf, erkannte und begrüßte mich, wandte sein Gesicht aber gleich wieder seinem Bein zu. Ich dachte erst, er hätte sich verletzt und setzte mich zu ihm, um Hilfe anzubieten. Er blickte vor sich hin, hinunter zum See, der steil bergab direkt unter uns lag. Man hatte die Bank an die wohl schönste Stelle zwischen dem Ronacherfels und dem Campingplatz an einen kleinen Felsvorsprung platziert. Zwischen den Fichten schien das milchig türkisblaue Wasser leicht erreichbar zu sein, aber die starke Neigung ließ es nicht ratsam erscheinen die kurze Distanz zu überwinden.







 

 





Ich war wohl einige Minuten mit der Idee beschäftigt gewesen, wie es wäre hierher zu schwimmen, da sprach er mich an, zuerst begriff ich gar nicht, was er gemeint haben könnte, bis mir klar wurde, er hatte gar nicht bewusst registriert , dass jemand neben ihm saß und mich damit etwas verwirrt, hatte er mich doch davor begrüßt. Er entschuldigte sich kurz für seine Unhöflichkeit, tauchte aber gleich wieder in seine Gedanken ab, was ich daran erkannte, dass er wieder begann in einem ganz eigenen Rhythmus sein rechtes Knie zu massieren. Zwischendurch nickte er auch mal mit dem Kopf, als würde er einem unsichtbaren Gegenüber zustimmen. Es schien mir, als würde ich ihn mit einem Smalltalk stören und so blieb ich einfach sitzen und genoss die Aussicht. Irgendwie schien es mir wichtig, noch zu bleiben. Nach einigen Minuten einer dichten, milchigen Stille begann er zu reden: Über die Entscheidung, die er zwanzig Jahre zuvor getroffen hatte.  















Sie, seine Frau Inge kam damals oft mit ihrer älteren Schwester Rosi, die einen Sinn für dramatische Auftritte hatte, immer am Laufenden war, was in der Clique wer zu wem gesagt oder wer wem etwas angetan hatte. Ihre Treffen kamen ihm aus späterer Sicht kurzweilig vor, man wusste im Vorhinein nie, wie sich die Gespräche und Neckereien entwickeln würden. Rosi hatte die Gabe, aus langweiligen Sommernachmittagen ereignisreiche Filmszenen zu machen. Erst Jahre später wurde ihm klar, dass Inge sich neben ihrer exaltierten Schwester in die Nische einer Zuschauerin zurückgezogen hatte. Sie hatte keine Vorstellung davon, dass irgendein Junge sich für sie interessieren konnte. Er brachte einige Beispiele vor, immer, wie hypnotisiert auf das Wasser unter uns blickend, als spräche er zu sich selbst. 

Einer plötzlichen Eingebung folgend fragte ich ihn, ob dies alles denn heute noch wichtig wäre und auch ich beobachtete das im Sonnenlicht schimmernde Türkis zu unseren Füßen und es schien mir, als würden goldene Reflexe knapp unterhalb der Wasseroberfläche in Spiralbewegungen aufwärts wandern. Es vergingen mehrere Minuten im Schweigen, er saß regungslos da, ich war irgendwie blockiert, wusste nicht, ob ich aufstehen und gehen oder doch noch etwas sagen sollte, höflichkeitshalber, bevor ich gehen würde. Doch er begann wieder zu sprechen, zuerst ganz langsam und stockend, dann immer schneller werdend, ähnlich einer Dampflok, die langsam erst richtig Fahrt aufzunimmt. Inge, sagte er, muß wohl die vielen Jahre ihrer Ehe lang immer gedacht haben, dass sie nur die zweite Wahl für ihn gewesen war, er sie nur genommen hatte, weil er Rosi nicht haben konnte.  













Er sprang auf, machte wild kreisende Bewegungen mit seiner Hand vor dem Kopf, während er sich selbst erklärte, was nun zu tun war und mit einem Mal saß ich alleine da, wie aus einem Traum erwacht. Ich blickte zwischen den Baumstämmen hinunter ins Wasser und vernahm ein Summen und leises Plätschern, ganz sanft, ganz heiter und entspannt. Ich muß wohl noch ziemlich lange da gesessen haben, es gab keine Zeit, nur Frieden und ein sattes Gefühl tief drin.  


Zurück am Ronacherfels, saßen schon alle Pensionsgäste beim Abendessen. Bevor ich mich setzte, konnte ich noch einen Blick vom Tiefgrabner und seiner Inge am hintersten Tisch direkt vor dem Fels erhaschen. Sie hatte ganz rote, aufgeregte Wangen und strahlte über ihr ganzes Gesicht.  
Die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages legten sich auf meine Haut, als ich wenig später am Bootssteg saß, um zu ergründen, wo die psychologisch so gut bewanderte Nixe wohl Ihren Abend verbrachte und wie sie es geschafft hatte, mich als ihr Sprachrohr einzuspannen.

Samstag, 6. Februar 2010

Magischer Weissensee in Kärnten

Ein erster Blick auf den See vom Kreuzberg kommend enttäuscht immer. Viel zu schnell verstellt die Bäckerei , die Post, die Volksschule, das Hotel zur Forelle die Möglichkeit wieder einmal ganz von Neuem einen Kontakt mit diesem weichen, sanften, zugegeben in dieser Jahreszeit durch eine feste Haut geschützten Körper aufzunehmen. So belang- und harmlos kommt die anfangs Februar meist schon verschneite Eisfläche diesseits der Brücke, von den Hiesigen stolz "kleines Meer" genannt, daher. Von der Straße in Oberdorf aus erscheinen die präparierten Bahnen für die Eisläufer wie das Werk eines gestressten Managers, der in seinem kleinen Zengarten viel zu viele Kringel in den Sand gezogen hat. Da bleibt kein Platz mehr für das Dazwischen, alles wurde genützt, verplant. 200 km Marathon werden gefahren, das braucht Platz.

Ein zweiter, näherer Blick wird möglich. In Techendorf über die Brücke, prüfend, wie das Eis dieses Jahr aussieht. Wird es fein sein zum Gleiten? Auch ein Blick hinüber auf das "große Meer", und wie jedes Jahr ein kurzer Gedanke an den großen Riesen. Als er kam, um die runden Zentralalpen und die schroffen Südalpen aufzutürmen, da hat sich hier ein kleiner nutzloser, von wenig imposanten Bergrücken begrenzter Spalt aufgetan. Damit er sich nicht immer wieder dafür schämen oder sich darüber ärgern musste, machte er den Blick frei auf die Dolomiten westwärts. Im Osten wars wurscht, da war nichts mehr zu retten, ein jämmerlicher schmaler Graben, an der Schattseite im Winter vom Sonnenlicht unversorgt. Was ist es dann, was uns fasziniert, anzieht immer wieder zurückzukehren, zu sehen, ob "es" immer noch da ist, dieses Gefühl von Eingetaucht und Getragen sein.

An die 3500 Holländer fahren hier seit Jahren Ende Januar ihre Alternative 11 Städte Tour, ein Rennen der Superlative. Vom Morgengrauen bis zur Dämmerung sausen bunte Trikots mit Füßen und Köpfen in einer Haltung ähnlich den Radrennfahrern, im rechten Winkel vornübergebeugt, den Kopf im Nacken, der Blick zugleich nach vorne und hinunter. Im Eis ist auf die Dehnungsrisse zu achten. Wenn man jetzt Einzelkämpfer vor dem geistigen Auge hat, so ist das nicht ganz richtig. Hier fahren Gruppen von Menschen, Teams im dichten Pulk miteinander, wie ein Organismus, ähnlich Fischschwärmen, die Körper dicht an dicht im hohen Tempo hochkonzentriert ihre Runden. Des Abends wird dann in großen Zelten am Eis fröhlich und ausdauernd gefeiert. Nach diesem in Europa einzigartigem Ereignis kehrt wieder gelassene Ruhe ein, manche kleinen Gruppen ziehen weiter ihre Kreise, daneben Schulgruppen mit Eishocheyschlägern, Familien mit Kinderwägen und Rodeln, Spaziergänger.

Die Energie vom Kreisen liegt noch in der Luft, man begibt sich an einer beliebigen Stelle auf die Bahn, und beginnt sich langsam auf einen Rhyhtmus einzustellen, die Sprünge im Eis im genügend spitzen Winkel anzufahren, um nicht hängenzubleiben. Nach Osten gleitend, die Brücke mit der Betriebsamkeit des Hauptortes hinter sich lassend umfängt einem bald die Weite der Fläche, Richtung Paterzipf und Neusach dehnt sie sich genüsslich aus und verbreitet eine stille Heiterkeit. Hier kommen noch alle vorbei, auch diejenigen mit wenig Kondition kommen über die Runden. Der großen Wiese am Paterzipf gegenüber leuchten die Wedel des Schilfgrases, in der früh vom aufsteigenden Nebel mit Raureif zusätzlich befiedert, zwischen den Stegen und kleinen Bootshäusern. Ein monochromes Bild aus allen Abstufungen von weiß bis braun, die dunklen Holztöne der Balkone der Häuser im Hintergrund bilden einen Rahmen, der in wiederkehrenden Mustern dem Auge im Weiterwandern ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Man muss sich schon ganz gezielt das eine oder andere Detail einprägen, um wieder an den Ausganspunkt zurück zu finden.

Doch soweit sind wir noch lange nicht. Das Geheimnisvolle wartet. Der Blick sucht Richtung Osten einen hervorspringenden Punkt. Das letzte Haus am Nordufer. Dahinter führt nur mehr ein schmaler Wanderweg zwischen den bis zur Wasserfläche herab wachsenden Nadelbäumen. Der Ronacherfels zieht uns an und hier beginnt nun der Teil des Sees, der sich im Näherkommen langsam und Teil für Teil dem Auge erschließt. Spätestens hier nun hat man seinen Rhythmus gefunden und hier hört man auch plötzlich das Kratzen der eigenen Kufen auf dem Eis. Es wird ruhig, nur mehr wenige schlittschuhwandern bis hierher mit dem Ziel die ganze Runde bis zum Dolomitenblick am Ostende des Weissensees auszufahren. Runde 18 km sind es von der Brücke bis hierher und wieder zurück. Zwischendurch könnte vage Langeweile aufkommen, keine Ablenkungen für den Blick nach vorne, der Wald reicht rundum herunter bis ans Eis, entlang klei

ner Ausbuchtungen am Ufer erschließt sich immer wieder ein weiterer Blick dem Ende entgegen. Und plötzlich stellt sich eine Ruhe im Inneren ein, während die Beine von selbst wissen, was sie tun, entstehen im Geist zuerst in großen, dann immer kleiner werdenden konzentrischen Kreisen Bilder zu Themen in der eigenen Biografie. Von Jahr zu Jahr rätsele ich vorher, was wohl diesmal auftauchen könnte. Welcher Aspekt meiner Arbeit oder Beziehungen könnte hier eine Wandlung erfahren. Es lässt sich nicht vorhersehen, das ist aber gar nicht nötig. Plötzlich ist es nämlich da, ganz dick und intensiv, so wie die Rennläufer die Tage vorher mit all ihrer Energie, ihrem Einsatz und ihrer Lebensfreude an ihrem Projekt arbeiten. Der große Geist des Weissensees mit seinem Stützpunkt am Ronacherfels, wenn man auf der Seeveranda ganz hinten Platz nimmt, kann man besonders gut im Abendlicht sein Profil im Fels erkennen, hat seinen Einfluss geltend gemacht.

Seine Energie stellt große konzentrische Kreise zur Verfügung, die im

mer kleiner werden, etwa der umgekehrte Vorgang, wenn man einen Stein ins Wasser wirft. Die Eisläufer nehmen diesen Vorgang auf und verstärken ihn durch ihre Bewegung jeden Tag aufs Neue. Durch das entspannte und absichtslose Gleiten kommt es zu einer Verbindung mit dieser Qualität des Ortes.

Manchmal schon am ersten, oft an den weiteren Tagen meines Hierseins bekomme ich eine

neue Perspektive zu dem einen oder anderen Aspekt in meinem Leben, manchmal wird es ganz dicht und klar, wie wenn man durch ein zuerst schlecht eingestelltes Fernrohr blickte und es dann scharfstellte.

So werden die Besuche zu diesem krafvollen und wunderschönen Ort zu einer Reise zu einem neuen und noch verborgenen Teil meiner Selbst.

Der Geist des Weissensees hat mich noch nie enttäuscht.